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C 2.1.61  Buch 2

 

Kapitel 1

 

Wiederaufnahme des Gesprächs in Langius’ Garten und 

Lobpreis der Gartenbaukultur.

 

 

 A

                                        m folgenden Tag kam es Langius in den Sinn, mich zu

                                        seinen Gärten zu führen, die er mit großem finanziellen

Aufwand und Eifer gleichermaßen bebaute. Die einen lagen auf einem Hügel, direkt gegenüber dem Haus, die anderen ein wenig weiter entfernt, unten direkt an  der Maas. ‚Welch Fluß die schöne Stadt mit sanfter Strömung durchfließt.’[1]

Langius hatte mich recht früh am Morgen in meinem Schlafgemach angetroffen und gefragt: „Wollen wir uns nicht etwas die Füße vertreten, Lipsius, oder magst du lieber in Ruhe irgendwo sitzen?“

„Im Gegenteil, Langius, ein Sparziergang wäre jetzt genau das Richtige; aber nur mit dir zusammen. Doch wohin sollen wir gehen?“

„Wenn es dir recht ist,“ antwortete Langius, „zu meinen Gärten unten am Fluss. Der Weg dahin ist nicht weit, obendrein wirst du deine Glieder bewegen und die Stadt sehen. Nicht zuletzt wird dir in der Hitze heute die frische Luft dort sehr angenehm sein.“

„Ich bin einverstanden,“ entgegnete ich, „unter deiner Führung ist mir kein Weg zu schwer oder weit und sei es bis ins fernste Indien.“

 Mit diesen Worten verlangten wir nach unseren Mänteln, ergriffen sie und machten uns direkt auf den Weg. Am Eingang ange-

C 2.1.62 kommen, ließ ich neugierig meine Blicke schweifen und bewunderte von Herzen die geschmackvolle Gestaltung dieses Ortes.

 „Mein Alter,“ sprach ich, „welch eine Anmut, welch ein Glanz! Du hast hier einen Himmel, keinen Garten. Selbst die Sterne glänzen in klarer Nacht nicht heller, als hier deine funkelnden und leuchtenden Blumen es auf vielfache Weise tun.

 Man spricht bewundernd von den Gärten des Adonis und des Alkinoos?[2] Das sind doch Lappalien und Fliegenbilder, verglichen mit dem hier.“

 Damit ging ich etwas näher heran und führte einige Blumen ganz nah an Nase und Augen.

 „Was soll ich mir nun zuerst wünschen?“ fragte ich darauf. „Ganz und gar Auge zu werden wie Argus[3]oder Nase wie Catull? Denn beide Sinne streichelt und kitzelt diese Wonne.

 Hinweg mit allen Düften Arabiens! Diese erscheinen mir wie Schiffsjauche im Vergleich mit diesem erlesenen und wahrhaft himmlischen Duft.“

 Mit einem Lächeln drückte mir Langius sanft die Hand: „Lass gut sein, Lipsius, meine bäuerliche Anpflanzung und ich, wir vertragen solch geschmackvolles und weltmännisches Lob nicht.“

 „Dennoch, Langius, ist es wahr! Oder glaubst du, dass ich dir schmeicheln will? Ich spreche aufrichtig und aus dem Innersten meines Empfindens heraus. Die Felder Elysiens[4] sind keinesfalls die Inseln der Seligen, verglichen mit deinen Fluren. Denn sieh doch nur diesen Glanz überall hier. Diese Ordnung! Wie passend alles auf kleinen Plätzen und in Beeten arrangiert ist! So wirken selbst die Steinchen in einem Mosaik nicht feiner oder geschmackvoller. Und was für eine Menge von Blumen und Kräutern! Welche Erlesenheit und Seltenheit!

 Es scheint, als habe die Natur an diesem eingegrenzten Ort alles versammelt, was auch immer unsere oder die Neue Welt als Besonderes und Exotisches beherbergt.“

 

 


C 2.2.62 Kapitel 2

 

Ein allgemeines Lob der Gärten. 

Die Pflege der Gartenbaukunst als von der Natur geförderte Tradition.

Beispiele großer Männer und Könige.

Schließlich die Freude an den Gärten und 

ein gut gemeinter Wunsch meinerseits.

 

 D

                                       ein eifriges Bemühen um die Gestaltung und Pflege der

                                       Gärten, Langius, ist in der Tat herausragend und lobens-

 wert. Es ist dies ein Eifer, wenn ich nicht irre, zu dem ein jeder, der von aufrechter und ehrbarer Gesinnung erfüllt ist, von Natur aus hingezogen wird.

 Der Beweis dafür liegt in der Tatsache, dass du kaum eine andere Lust nennen kannst, die seit Anbeginn der Zeiten von den edelsten der Völker übereinstimmend gewürdigt wird.

Gärten in der Betrachtest du die heiligen Schriften, wirst du sehen, dass mit

Tradition Entstehung der Welt die Gärten ihren Anfang nehmen. Diese hat

C 2.2.63 Gott selbst dem ersten Menschen als Heimat zugeteilt. Sie sind gleichsam der Platz für ein glückseliges Leben.

 Nimm dazu die weltlichen oder heidnischen Bücher: Sprichwörtlich und geradezu fabelhaft sind die Gärten des Adonis und des Alkinoos sowie des Tantalos und der Hesperiden.[5] Du findest weiter die durch sichere historische Erkenntnisse verbürgten Setzlinge, die der König Kyros von eigener Hand pflanzte, die  hängenden Gärten der Semiramis und die neue und glänzende Gartenbaukultur des Masanissa, die ganz Afrika bewunderte.[6]

 Wie viele berühmte Köpfe könnte ich dir allein unter den alten Griechen und Römern nennen, die befreit von allen anderen Sorgen allein in dieser Sorgfalt aufgingen? Unter jenen waren jedenfalls, mit einem Wort, alle Philosophen und Weisen.

 Fern ab vom ungesunden Lärm und der Hektik der Stadt und Märkte lebten sie abgeschlossen innerhalb der Umfriedung in der Muße ihrer Gärten.[7] Bei den Römern sehe ich König Tarquinius, der schon damals, bald nach Gründung der Stadt, in den Gärten lustwandelte und die Köpfe von Mohnpflanzen abschnitt.[8] Ich finde den alten Cato, der der Gartenbaukunst sehr ergeben war und gewissenhafte Werke über sie verfasst hat. Lucullus hat nach seinen Siegen in Asien in den Gärten seine Muße gefunden.[9] Sulla hat, nachdem er die Diktatur niedergelegt hatte, hier einen friedvollen Lebensabend verbracht. Und Kaiser Diokletian hat sein Gemüse und seinen Kopfsalat bei Sulona[10] allem Purpur und allen Würden vorgezogen.

Popularität der Von dieser guten Tradition weicht auch das einfache Volk nicht

Gärten ab: Alle ehrlichen Seelen, die frei von bösem Ehrgeiz sind, pflegen diese Kultur.

 Es ist in der Tat eine geheimnisvolle und uns allen gemeinsame Kraft, deren innere Ursachen ich nicht so leicht erklären kann, die nicht nur uns, die wir ohnehin dazu neigen, zu dieser unschuldigen und natürlichen Freude hinzieht, sondern auch die ernsten und gestrengen Menschen, die sie ablehnen und verlachen.

 Wie es niemandem möglich ist, den Himmel und die ewigen Sterne ohne heimliches Erschaudern und Ehrfurcht anzuschauen, so betrachtet auch keiner die heiligen Schätze der Erde und dieses unteren Erdkreises ohne das stille, prickelnde Empfinden der Freude.

 Erforsche deinen Geist und Verstand: Sie werden dir künden, dass sie von diesem Anblick ergriffen werden, ja sich daran weiden.

 Befrage Augen und Sinne: Sie werden bekennen, dass sie nirgendwo lieber ruhen als auf den Gefilden und Beeten der Gärten hier.

 Ich bitte dich, beschau dir doch nur einmal diese Menge Blumen und ihr Wachstum. Schau, wie jene aus einem Blütenkelch hervorbricht, diese aus einer Ähre, eine andere wieder aus einer Knospe; sieh, die eine da stirbt plötzlich ab, eine andere wächst dafür nach; schließlich sieh dir nur irgendeine Gattung von Pflanzen an, wie die einzelnen Blumen an Feinheit, Form und Aussehen auf tausenderlei Art gleich und doch verschieden sind.

C 2.2.64 Wer ist schon von derart harter Gesinnung, dass er in einer solchen Umgebung nicht zartere Gedanken fasst und dahin schmilzt? Nun, du neugierig Auge, richte deine Aufmerksamkeit doch mal ein wenig auf diesen Glanz und die Farbenpracht: Schau nur diesen natürlichen Purpur, dieses Elfenbein, das Schneeweiß dort, das Flammende hier und wiederum das Goldenen – so viele Farben, die mag ein Künstler mit dem Pinsel nachzumachen suchen, er wird es nicht erreichen!

 Zu guter Letzt, was weht da nur für ein Duft herauf? Was ist das für ein durchdringender geistiger Hauch? Ich weiß nicht, welcher Teil der himmlischen Luft den Pflanzen von oben herab eingegossen wurde. Doch nicht von ungefähr hat unser Geschlecht von Poeten gedichtet, dass die meisten Blumen aus dem Saft und Blut der unsterblichen Götter entsprossen sind.

Sehnsucht nach  O Quell der Freude, wahrer Bronn ungetrübter Lust! O Ort, den

Ruhe Göttinnen der Liebe und der Anmut geweiht! Wie wünsche ich mir ein Leben voller Ruhe in eurem Schatten; fernab der politischen Unruhen möchte ich freudigen und offenen Auges zwischen all diesen bekannten oder exotischen Pflanzen umherwandeln, bald meine Hand auf die legen, die da verwelkt, bald meinen Blick auf jene wenden, die neu entsteht. Und mit einem unbestimmten lockeren Plaudern möchte ich hier all meine Sorgen und Mühen ungeschehen machen.“

 

 

 

 

 


C 2.3.64 Kapitel 3

 

Erörterung gegen die Neunmalklugen, 

die die Gärten zur Eitelkeit und Trägheit missbrauchen; 

dagegen ihr wahrer Gerbrauch: 

Den Weisen und Gelehrten sind sie ein geeigneter Ort, 

die erhabene Weisheit selbst ist in ihnen gewachsen! 

 

 

 I

                                        ch hatte erregt und mit flammender Begeisterung gesprochen,

                                        weshalb Langius mit sanfter Stimme antwortete: „Fürwahr,

 Lipsius, du bist verliebt; verliebt in diese blühende und purpurne Nymphe. Aber ich fürchte, du liebst ohne das rechte Maß. Du lobst die Gärten; aber so, dass du meistenteils das Nichtige und Äußerliche an ihnen bewunderst. Ihre wahren und legitimen Freuden übersiehst du. Denn genau genommen schwelgst du in Farben, verweilst bei Blumenbeeten und suchst nach Pflanzen aus der alten und der Neuen Welt. Verrate mir bitte mal, warum? Muss ich auch dich zu denen rechnen, die heutzutage von sich reden machen? Diese spitzfindigen Müßiggänger, die eine vorzügliche und völlig einfache Sache zum Werkzeug zweier Laster herabgewürdigt haben: der Eitelkeit und Faulheit. Denn nur zu diesem Zweck haben sie ihre Gärten. Sie sammeln mit Eifer alle möglichen Pflänzchen und exotischen Blumen zusammen, und

C 2.3.65 diese erlesenen Gewächse hegen und pflegen sie mit einer Liebe und Sorge, die keine Mutter ihrem Kinde angedeihen lässt.

 Diese sind es, deren Briefe nach Thrakien[11], Griechenland und Indien unterwegs sind, und das eines winzigen Samenkorns oder einer kleinen Zwiebel wegen. Die sind es auch, denen das Eingehen irgendeiner neuen Blume mehr Kummer bereitet als der Tod eines alten Freundes.

 Hat nicht mal einer jenen Römer[12] verlacht, der in Trauerkleidung einen Fisch beweinte? Diese tun es wegen einer Pflanze!

 Wenn nun einer dieser Laubenaspiranten durch Zufall etwas Neues oder Besonderes findet, wie er sich dann brüstet! Und wie die anderen Mitbewerber versuchen, es ihm gleich zu tun, und wie sie ihn beneiden! Von denen ist manch einer trauriger nach Hause gegangen, als einst Sulla oder Marcellus, die in der Bewerbung um die Prätur unterlegen waren.

 Wie soll ich’s sagen? Es ist irgendwie ein erheiternder Unsinn, nicht unähnlich dem der Jungen, die um ihre Püppchen und Figürchen fürchten und zanken. Aber nimm doch deren Fleiß in Sachen Gartenbau mal genau unter die Lupe: Da hocken sie, gehen umher, gähnen, schlafen! Nichts anderes!

 Die haben da keinen Ort, an den sie sich zur tätigen Muße zurückziehen, die haben eine Gruft für ihre Faulheit. Was für ein elendes Pack!

 Diesen Leuten verwehre ich mit Recht den Zugang zu den tiefen Geheimnissen der Gartenkunst. Denn ich bin gewiss, dass diese dazu da ist, einer maßvollen Lust zu frönen, nicht der Eitelkeit, einer Ruhe in Abgeschiedenheit, nicht der faulen Trägheit.

 Bin ich denn ein derart charakterliches Leichtgewicht, dass der Gewinn eines Kräutleins mich in Verzückung geraten lässt, sein Verlust aber in tiefe Depression stürzt?

 Im Gegenteil: Ich schätze zwar die Dinge nach ihrem ureigenen Wert, aber da ich den Reiz der Neuheit nicht überbewerte, bin ich mir stets darüber im Klaren – es sind Kräuter, es sind Blumen. Und die sind nur kurzlebig und vergänglich. Deshalb urteilt der Dichterfürst[13] sehr treffend über sie: ‚Des Zephyrs Atem bringt das eine hervor, das andere aber verweht er.’

Überleitung zum  Ich lehne ja den Genuss und die Pracht nicht ab – die Beispiele

wahren Gebrauch siehst du ja hier. Aber darin unterscheide ich mich von den spin-

der Gärten nerten Jüngern des Hortensius[14], dass ich solche Schätze ohne Sorge sammele; ohne Angst besitze ich sie, und ohne Verdruss verliere ich sie auch wieder. Auch bin ich nicht so schlaff und, ja, tot, dass ich mich zurückziehe und im Schatten der Gärten begrabe.

Muße und Aktivität Auch in der Muße hier finde ich Beschäftigung, und mein Geist findet dazu, dass er ohne jedes Handeln tätig ist, ohne jede Mühe arbeitet.[15]

 ‚Niemals’, sagte jener Römer einmal, ‚bin ich weniger einsam, als wenn ich allein bin und niemals weniger untätig, als wenn ich in Muße meine Zeit zubringe!’[16]

 Das ist ein großartiges Wort; ich möchte wagen zu behaupten, es ist in den Gärten selbst geboren worden. Denn selbstverständlich sind diese dem Geist zugedacht, nicht dem Körper: damit jener sich erholen kann, nicht damit dieser faulenzt. Sie sind geschaffen für eine heilsame Abgeschiedenheit von Sorgen und Unruhen.

C 2.3.66 Machen die Menschen dir zu schaffen? Hier wirst du für dich sein können. Hat dich deine Alltagsbeschäftigung erschöpft? Hier wirst du dich erholen, wo dem Geist die Ruhe eine Nahrung ist und Stärke verleiht. Hier haucht die reine Luft ihm gleichsam ein neues Leben ein.

 Siehst du die alten Weisen? Sie nahmen Wohnung in ihren Gärten. Oder heute die gebildeten und gelehrten Seelen? Auch sie genießen die Gärten. In ihnen sind die meisten der göttlichen Schriften geschaffen worden, die wir so bewundern und die keine Zeit und kein Alter zerstören werden.

 Diesem grünen Lyzeum verdanken wir so viele Abhandlungen über die Natur; dieser Schatten spendenden Akademie schulden wir die ethischen Grundsätze und aus der Muße der Gärten entsprangen die fruchtbringenden Ströme der Weisheit, aus denen wir trinken und die mit ihrem Überfluss die ganze Erde überschwemmen.

 Denn selbstverständlich richtet sich der Geist eher auf und erhebt sich zu erhabenen Dingen, wenn er frei und gelöst seinen Himmel schaut, als wenn er im Kerker der Häuser und Städte eingesperrt ist.

 Hier in den Gärten, ihr Dichter, verfasst ein Werk, das Bestand haben wird und euch überdauert; hier, ihr Schriftsteller, denkt und schreibt; hier, ihr Philosophen, erörtert die Fragen von Seelenruhe, von Geistesstärke, von Leben und Tod.

 Nun, Lipsius, das ist der wahre Sinn und Zweck der Gärten: Die Muße der Abgeschiedenheit – um nachzudenken, um zu lesen, um zu schreiben. Und dennoch soll dies alles eine Erholung sein und von spielerischer Leichtigkeit. Wie die Maler die ermüdeten Augen nach langer Anspannung gegen einen Spiegel oder ein sattes Grün wenden und erholen, so wollen wir hier unseren müden und irrenden Geist stärken. Warum sollte ich dir meine Gewohnheit verheimlichen? Siehst du die Pergola dort, von der Hand

Hort der eines Gartenmeisters gezogen? Sie ist mein Musentempel, die

Philosophie  Schule und Übungsstätte der Philosophie.[17]

 Dort erfülle ich mein Herz mit ernsthafter und bedeutender Lektüre oder pflanze die Saat wichtiger Gedanken ein. Und aus denen führe ich mir die Lehren, die ich für mein Leben fasse, zu Gemüte – wie Waffen aus einem Arsenal.

 Diese Philosophie ist mir eine schlagfertige Verteidigung gegen die Gewalt und Wankelmütigkeit Fortunas. So oft ich meinen Fuß hier hinein setze, befehle ich allen meinen minderwertigen Sorgen außen vor zu bleiben; und soweit ich es vermag, verachte ich erhobenen Hauptes das profane Bestreben des Pöbels, diese für bedeutend erachteten Nichtigkeiten menschlicher Angelegenheiten. Ja, dann kommt es mir geradezu vor, als würde ich meinen Menschen ablegen und von der feurigen Quadriga der Weisheit gen Himmel gerissen werden.

 Glaubst du etwa, dass ich mich an diesem Ort ängstige, was die Franzosen oder Spanier gerade wieder aushecken? Wer die Herrschaft über Belgien gerade innehat oder verliert? Ob der Tyrann aus Asien[18] uns zu Wasser oder zu Lande bedroht? Oder was end-

C 2.3.67 lich ‚… im hohen Norden der König eisiger Gestade ersinnt’?

 Nichts dergleichen! Bewehrt und abgeschlossen gegen alles Äußere, ruhe ich in mir selbst; sicher vor allen Sorgen – außer der einen: dass ich meinen entmutigten und geplagten Geist der Weisheit und Gott unterwerfe und diesem Geist dann alle anderen menschlichen Dinge. Auf dass ich, wenn einst mein letztes Stündlein schlägt, diesen Augenblick gefasst und fröhlich annehme und aus diesem Leben scheide – nicht wie einer, der davongejagt wird, sondern wie einer, der ausgesendet wird. Das ist es, Lipsius, worüber ich in den Gärten nachsinne, und das ist es, was dabei herauskommt. Das möchte ich nicht eintauschen – jedenfalls nicht, solange ich noch bei Verstand bin – nicht gegen alle Schätze Persiens oder Indiens.“

 


C 2.4.67  Kapitel 4

 

Es folgt eine Ermahnung zur Weisheit,[19] 

durch die man zur Geistesstärke gelangt.

Die Jugend soll zudem die ernsten Lehren der Philosophie 

mit den schönen und freien Künsten verbinden.

 

 S

                                        o hatte Langius gesprochen. Und, ich bekenne es aufrichtig,

                                        durch seine erhabene und charakterstarke Rede hatte er

 mich in Erstaunen versetzt. Dennoch riss ich mich aus dieser Erstarrung los und sprach: „ Was bist du doch für ein glücklicher Mensch! Gleichermaßen in der Muße wie in den Sorgen. Dein Leben kann kaum das eines Menschen genannt werden. Oh, wäre es mir doch vergönnt, diesem wenigstens zum Teil nachzueifern und auf deinen Spuren zu kriechen, und sei es auch in weitem Abstand.“

 Langius entgegnete, als wolle er mich strafen: „Du willst mir nacheifern? Du musst mich übertreffen! Du hast nicht etwa das Recht hierin zu folgen, sondern die Aufgabe voran zu schreiten. Denn nur ein wenig, Lipsius, und noch nicht genug sind wir beide auf diesem Weg zu Geistes- und Charakterstärke vorangeschritten. Den Aufrechten und Guten sind wir noch nicht ebenbürtig. Wir sind allenfalls ein wenig stärker als die Weichlinge und Schlechten. Aber du, der du über eine rege und starke natürliche Begabung verfügst, rüste dich! Und – unter meiner Anleitung –

Ermahnung zur geh’ diesen Weg, der direkt zur seelischen Festigkeit und Gei-

Philosophie stesstärke führt. Der Weg, von dem ich spreche, ist die Philosophie, die zur Weisheit führt.

 Ich bitte und ermahne dich, dich nicht länger zu sträuben, ihre ausgeglichene und ruhige Bahn zu betreten. Lagen dir bislang die Wissenschaften am Herzen – und die Musen?[20] Es sei gewährt. Denn ich weiß sehr wohl, dass der Geist durch diese liebliche und von außen wirkende Lehre zunächst verfeinert und vorbereitet werden muss, ‚denn vorher ist er nicht fähig, die göttlichen Samen aufzunehmen!’[21]

 Aber es gefällt mir nicht, wenn du dabei verharrst und deinen

C 2.4.68 Eifer auf das beschränkst, was man Bug und Heck des Wissens nennen könnte. Denn das darf für uns nur eine Grundlage darstellen, aber nicht die eigentliche Aufgabe sein: Es ist ein Weg, nie das Ziel!

 Wenn du dich zu einem Gastmahl setzt, denke ich wirst du nicht nur das Dessert und die Süßspeisen kosten, sondern deinem Magen etwas feste und herzhafte Kost als Stütze bieten. Warum verfährst du nicht ebenso bei dem öffentlichen Mahl der Gelehrsamkeit? Warum, frage ich dich, fügst du nicht zum Honig[22] der Rhetoren und Poeten die festere Nahrung der Philosophie?

 Ich will ja nicht, dass du Dicht- und Redekunst aufgibst – nicht, dass ich hier stillschweigend in ein falsches Licht gerate -, vielmehr möchte ich, dass du die Philosophie hinzutust. Ich will, dass die frei fließenden Nymphen von einem strengeren Bacchus sozusagen gezügelt werden. Jene Freier, da bei Homer, werden nicht zu Unrecht ausgelacht, die Penelope im Stich lassen, um sich den leichter zugänglichen Mägden zuzuwenden.

 Gib acht, dass dir nicht dasselbe widerfährt und du die Herrin aller Dinge verschmähst und nur für ihre Dienerinnen entbrennst.

 Es ist ein schönes Lob: Oh, welch gebildeter Mann! Aber es ist ein noch besser: Oh, welch weiser Mann!

 Danach lass uns streben – bei all den Mühen, die wir auf uns nehmen, wollen wir nicht bloß Wissen erlangen, sondern wir wollen Weise sein und danach handeln.[23] Ein alter und wahrer Vers sagt: ‚Es gibt keine Erkenntnis ohne Einsicht.’

 Wie viele gibt es doch heute in unserem Gelehrtenkreis, die sich und dem gesamten Berufsstand zur Schande gereichen? Einige haben sich mit Schuld und Schmach bedeckt, die meisten sind nur eitle Leichtgewichte, hochtrabende Fatzken, die sich um nichts ernsthaft kümmern.

Wissenschaft als Sie lernen Sprachen? Ja, aber eben nur Sprachen. Sie lesen

Selbstzweck griechische und lateinische Autoren? Ja, aber sie lesen sie eben nur.

 Wie einst Anacharsis klug über die Athener sprach, dass sie genau genommen ihr Geld nur zum Zählen verwenden – so benutzen jene Geistesakrobaten die Wissenschaft lediglich zur Anhäufung von Wissen. Um das Leben und Handeln kümmern sie sich überhaupt nicht. So kommt es, dass die Wissenschaften allgemein in einem schlechten Ruf stehen – als wären sie die Lehrerinnen der Nichtsnutzigkeit.


Das eigentliche Ziel Dabei führen sie doch zur Charakterstärke, wenn man sie nur

der Wissenschaft richtig gebraucht: Füge nur die Weisheit hinzu! Die Wissenschaft muss der Weisheit zuarbeiten und unsere geistige Beweglichkeit schulen; sie darf diese nicht lähmen und zum Selbstzweck werden. Denn wie bestimmte Bäume keine Frucht tragen, wenn sie nicht in die Nähe von anderen gepflanzt werden, die als ihre Ehegatten fungieren, so werden auch deine gelehrten Jungfrauen unfruchtbar sein, wenn sie nicht mit der männlichen Stärke der Weisheit verbunden werden.

 Wieso willst du mir den Tacitus verbessern, wenn dein Leben fehlerhaft ist? Wieso den Tranquillus erhellen, wenn du selbst in der Dunkelheit des Irrtums befangen bleibst? Den Plautus reinigst du von allen Schandflecken und Makeln, obwohl dein Geist offenbar vor Dreck strotzt und starrt?

C 2.4.69 Wende doch einmal dein Bemühen auf Dinge, um die es sich zu

Primat der Praxis sorgen lohnt. Entwirf eine Lehre, die dir nicht nur mit ihrem theoretischen Pomp zur Ehre gereicht, sondern einen praktischen Nutzen zeitigt. Wende dich der Weisheit zu, die deine Gesinnung und dein Handeln in die richtige Bahn lenkt, die deinen verwirrten und kranken Geist beruhigt und erleuchtet. Sie allein kann Charakter- und Geistesstärke prägen und vermitteln. Sie allein kann dir den Tempel des richtigen Denkens öffnen.“

 

 


C 2.5.69  Kapitel 5

 

Zur Weisheit gelangt man nicht durch Wunschdenken, 

sondern durch tätiges Bemühen: 

Rückkehr zur Abhandlung über die Geistesstärke.

Lerneifer als gutes Zeichen der Jugend.

 

 I  

                                   ch konnte es nicht verhehlen: Diese Ermahnung hatte einen

                                   Feuereifer in mir entfacht. „Mit dem Herzen, guter Alter, folge ich dir schon,“ rief ich, „wann aber mit Taten? Wann kommt der Tag, der mich befreit von meinen Sorgen, auf den Weg der wahren Weisheit bringt? Der mich durch sie zur Constantia finden lässt?“

Postulat der Langius antwortete, als wolle er mich tadeln: „Ist es nicht in

Aktivität Wirklichkeit so, dass du dich lieber deinen Wunschvorstellungen überlassen möchtest, statt selber aktiv zu werden und anzupacken? Aber das ist doch blanker Unsinn und deiner nicht würdig. Der Caeneus[24], den wir aus den antiken Erzählungen kennen, mutierte allein durch seinen Wunsch aus seiner Frauengestalt zum Manne. Aber du wirst doch nicht durch dein Wunschdenken vom Tölpel zum Weisen oder vom Bruder Leichtfuß zum standhaften Helden. Dazu ist es nötig, dass du dir Mühe gibst und selber Hand anlegst, nach dem Motto, hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Also suche, lese, lerne!“

 Diesen Gedanken aufnehmend antwortete ich: „Ich weiß, Langius. Aber, so’s dir gefällt, mach auch du dir die Mühe und spinne den Faden unseres gestrigen Gespräches zu Ende, den die Einladung zum Abendessen so abrupt unterbrach.

Bitte um Rückkehr Ich meine, kehr bitte zum Thema der Constantia zurück: Diese

zum Thema heilige Handlung, die wir unterbrachen, kannst du nicht aufschieben, ohne Schuld auf dich zu laden.“

 Langius schüttelte leicht mit dem Kopf und entgegnete: „Damit ich mich wieder in diese Gedankenspiele verstricken lasse? Ich werd’s nicht tun, Lipsius, und schon gar nicht hier. Du musst wissen, dieser Ort gehört meine Ruhe, nicht der Arbeit. Wir werden dieses Thema ein andermal durchgehen.“

 „Nicht besser jetzt?“ darauf ich. „Im Hause deiner philosophischen Betrachtungen? Ich meine diese Pergola hier, die mir jedenfalls wie ein Tempel vorkommt; und der kleine Tisch darinnen ist mir wie ein Altar. Dort lass uns sitzen und der Göttin der Constantia gebührend huldigen. Schließlich erhasche ich noch ein Zeichen.“

 „Welches denn?“ fragte Langius.

 „Ich denke da an folgendes: Diejenigen, die in einem Gewürz-

C 2.5.70 laden oder einer Parfümerie gesessen haben, tragen in ihren Kleidern etwas vom Geruch oder Duft des Ortes mit sich. So habe ich die Hoffnung, dass ein Hauch der Weisheit meinem Geist anhaften bleibt, wenn ich in ihrer Werkstatt gesessen habe.“

 Langius lächelte: „Ich fürchte nur, dass ein derart undeutliches Vorzeichen kein Gewicht hat. Dennoch, Lipsius, lass uns gehen. Denn ich gestehe, mich erregt und erwärmt solch aufrichtige Begeisterung. Wenn die Brunnengräber frühmorgens einen Dunst aus der Erde hervorbrechen sehen, halten sie dies für ein Zeichen verborgenen Wassers. Ebenso habe ich die Hoffnung auf einen üppigen Sprudelquell der Tugend, wenn bei einem jungen Mann ein solcher Lerneifer hervorsticht.“

 Mit diesen Worten führte er mich zur Pergola und wies mich hinein.

 Während er sich an das Tischchen setzte, wandte ich mich zunächst an einige Knaben: „Heda, ihr, bleibt da stehen und gebt Obacht. Vor allem aber verriegelt die Tür! Und – hört genau zu: Ihr bezahlt mit eurem Leben, wenn hier irgendein lebendiges Wesen hereinkommt. Keinen Mann, keinen Hund, keine Frau sollt ihr hereinlassen. Nicht mal, falls die Glücksgöttin selber kommen sollte.“ Und damit setzte ich mich hinzu.

 Doch Langius lachte herzhaft: „Hast du vielleicht irgendwann mal ein Zepter geschwungen? Geradezu von königlicher Strenge sind deine Anordnungen.“ „Allerdings“, entgegnete ich, „treffe ich mit Recht solche Vorsichtsmaßnahmen, um mich gegen ein Missgeschick wie das gestrige abzusichern. Doch nun, mit Gott, fahre fort.“

 

 


C 2.6.70  Kapitel 6

 

Das dritte Argument für die Constantia: die Nützlichkeit.[25] 

Unglücke stellen ein Gut dar – von ihrem Ursprung her betrachtet 

wie von ihrem Ziel. Denn der Ursprung kommt von Gott, 

der ewig und unabänderlich gut ist und deshalb keines Übels Ursache

 

 L

                                        angius dachte nicht lange nach und hob an zu reden: „Bei

                                        der Erörterung der Geistesstärke, die ich gestern begann,

werde ich mich standhaft an die Ordnung halten und den Vorgaben folgen, die ich einmal gesetzt habe. Wie du weißt, habe ich vier Heere aufgestellt, die für die Constantia und gegen Schmerz und Kleinmut ankämpfen sollen. Von denen habe ich bereits zwei – die der Vorsehung und Notwendigkeit – ins Feld geführt. Ich habe hinreichend dargelegt, dass die öffentlichen Plagen von Gott gesandt werden und deshalb notwendig sind und durch keine Flucht vermieden werden können.

Utilitas (Nutzen) Ich werden nun das dritte Heer einsetzen: die Utilitas oder Nütz-

C 2.6.71 lichkeit. In ihm marschiert die Legion, die ich zu Recht die Ermutigerin nenne. Wenn du genau hinschaust, handelt es sich dabei um eine Truppe, die stark und listig ist; die, ich weiß nicht genau wie, es schafft, sich in die Herzen einzuschleichen und den Sieg mit einer freundlich schmeichelnden Kraft davonzutragen, die die Besiegten ihre Niederlage noch begrüßen lässt. Denn sie dringt eher behutsam vor, als dass sie mit der Tür ins Haus fällt: sie überzeugt, sie zwingt nicht. Und so dulden wir, von dem Nutzen sacht geleitet, statt von der Notwendigkeit geschleift zu werden.

Diese Legion, Lipsius, stelle ich nun dir und deinen verweichlichten Mitstreitern entgegen: Die öffentlichen Plagen, die wir erdulden, stellen einen Nutzen dar und gehen mit unserem inneren Wohl und Gedeihen einher.

Ursprung und Ziel Unglücke sollen ein Übel sein? Im Gegenteil. Wenn du den

des Unglücks Deckmantel der Einbildung oder irrigen Meinung wegnimmst und dein Augenmerk auf ihr Entstehen und ihren Zweck richtest, erweisen sie sich in Wahrheit sogar als ein Gut. Jenes stammt vom Guten, dieser richtet sich auf ein Gut.

 Der Ursprung aller Unglücke und Widrigkeiten nämlich – das habe ich gestern hinreichend ausgeführt – stammt von Gott. Das heißt: nicht nur vom höchsten Gut selber, sondern auch vom

Gottes Wesen und Urheber und Haupt, von der Quelle aller Güter überhaupt. Von

Kraft Gott kann ebenso wenig etwas Böses ausgehen, wie er selbst böse ist. Seine Kraft ist allein freundlich und Heil bringend. Sie will keinen Schaden zufügen und kann selbst nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Gottes Macht ist eine einzige und höchste: nämlich Nutzen zu bringen. Aus diesem Grund haben auch die fern jeder Offenbarung in Dunkelheit gehüllten Menschen der Antike die höchste Gottheit, so sie sie im Geiste zu erfassen suchten, etymologisch vom Helfen abgeleitet und zu Recht Iuppiter genannt.[26]

 Glaubst du etwa, Gott werde verbittert und zornig und würde seinen Zorn wie ein Unheil bringendes Geschoss gegen die Menschheit schleudern? Da irrst du.

 Zorn und Rache sind Bezeichnungen eines menschlichen Affektes. Sie entstehen aus der Schwäche und befallen auch nur die Schwachen.

 Der Weltgeist[27] aber verharrt ewiglich in seiner Güte. Auch das Harte und Widrige, das er uns beifügt oder zuträgt, ist wie ein Medikament: Den Sinnen erscheint es bitter und unverdaulich; tatsächlich aber und in seiner Auswirkung ist es heilsam.

 Jener Homer der Philosophen sagt völlig richtig: ‚Gott verübt nichts Böses, und er ist auch keines Bösen Ursache.’[28]

Und noch besser und eindrücklicher formuliert dies unser Weiser Seneca: ‚Worin liegt der Grund für die Götter, gut zu handeln? Er liegt in ihrer Natur. Es irrt, wer glaubt, sie wollten oder könnten Schaden zufügen. Sie können auch weder Unrecht empfangen noch verüben. Die erste Ehrerbietung den Göttern gegenüber ist, an sie zu glauben; die zweite, ihnen ihre Majestät zuzuerkennen und die Güte, ohne die es keine Majestät gibt. Man muss wissen, dass sie der Welt vorstehen und das ganze Universum wie ihr Eigentum regieren, dass sie die Aufsicht über das gesamte Menschengeschlecht führen und auch auf jeden Einzelnen bedacht sind. Sie tun nicht Böses und haben solches nicht an sich.’

 

 


C 2.7.72  Kapitel 7

 

Ebenso sind Sinn und Zweck der Übel auf das Gute gerichtet, 

selbst wenn ihnen sehr oft schlechte Menschen und Handlungen zu Grunde liegen.

Wie Gott deren Kraft beugt und zügelt 

und alles zu unserem Nutzen gewendet wird. 

Nebenbei einige Bemerkungen, warum Gott sich der Werke der Bösen bedient.

 

 V   

                               on ihrem Ursprung her betrachtet, sind Unglücke oder

                               Katastrophen gut. Ich behaupte aber auch, ihrem Sinn und

 Zwecke nach. Denn sie sind immer auf ein Gut und unser Heil gerichtet.[29]

 Obwohl du schweigst, weiß ich wohl, dass du mir widersprechen möchtest. – Auf welche Weise? Nun, du wirst entgegnen: Haben nicht offensichtlich all diese Kriege und Unglücke das Ziel zu schaden und zu verletzen?

 Ich gebe zu, das haben sie – wenn du nur die Menschen betrachtest. Das trifft aber nicht zu, wenn du auch Gott mit einbeziehst.

 Damit du das aber völlig richtig verstehst, muss ich eine Differenzierung vornehmen, die Licht ins Dunkel bringt.

Reine und ver- Es gibt zwei Arten der göttlichen Plagen; die reinen auf der

mischte Plagen einen, die vermischten auf der anderen Seite. Rein nenne ich solche, die ausschließlich von Gott herrühren – ohne jedes Mitwirken menschlicher Erfindungskraft, ohne jede aktive menschliche Beteiligung. Die vermischten kommen zwar auch von Gott, werden aber durch die Mithilfe von Menschen ins Werk gesetzt.

 Unter erste fallen: Unfruchtbarkeit, Erdbeben, Erdrutsche, Überschwemmungen, Krankheit und Tod. Zu letzteren zählen: Tyrannei, Krieg, Unterdrückung und Mord.

 Bei den ersteren ist alles rein und klar, da sie aus dem reinsten Brunnen geschöpft sind. Letzteren dagegen, das streite ich gar nicht ab, ist etwas Schmutziges beigemischt, da sie durch den Dreckskanal der Affekte geleitet sind.

Menschliche  Der Mensch mischt hierbei mit – was wunderst du dich über

Teilhabe Schuld und Sünde? Du solltest dich besser darüber verwundern, dass Gottes Güte derart vorsorgend ist, dass sie selbst ein Verbrechen zu unserem Heil, selbst die Sünde zum Guten wendet.

 Du siehst da einen Tyrannen, der ganz von Schrecken und Mordgedanken beseelt ist. Sein einziges Begehren ist zu schaden. Der möchte lieber selber zu Grunde gehen, wenn er nur Verderben bringen kann. Lass ihn nur, er wird seine eigene Absicht verfehlen. Gott wird ihn an einem geheimen Band ohne sein Wissen und gegen seinen Willen dorthin ziehen, wohin er ihn haben will.

 Wie ein Pfeil zu dem Ziel gelangt, das der Schütze vorgibt, so geht es auch diesen gottlosen Verbrechern. Die allerhöchste

Göttlicher Heilsplan  Macht zügelt nämlich jede menschliche Gewalt und lenkt die Schritte derer, die irregehen, zum Ende ihres Heils.

 In einem Heer gibt es die verschiedenen Affekte der Soldaten: Diesen reizt die Beute, den da treibt die Sucht nach Ruhm, jenen der Hass – doch alle kämpfen für den Sieg und ihren Herrscher.[30]

C 2.7.73 Ebenso streiten auch alle die guten und schlechten Willen für Gott; und bei all den unterschiedlichen Zielvorgaben, die es gibt, gelangen sie doch zu dem – ich will mal sagen – Endpunkt aller Ziele.

Sinnfrage Aber warum, wirst du fragen, bedient sich Gott überhaupt der Mithilfe von Übeltätern? Warum schickt er diese gut gemeinten Katastrophen nicht selbst oder wenigstens mittels guter Diener? Mein lieber Mann, du stellst allzu neugierige Fragen, und ich weiß nicht, ob ich dir jenes Geheimnis entdecken kann. Aber das eine weiß ich: Gott ist der Sinn seiner Handlungen völlig klar, auch wenn wir davon gar nichts verstehen.

Beispiele Dennoch: Was ist eigentlich an der ganzen Sache so verwunder-

medialen Handelns lich oder neu?

 Schau dir doch nur mal einen Provinzvorsteher an! Der geht mit dem Gesetz gegen einen Verbrecher vor, aber doch nicht selbst, sondern auf einen Befehl hin wird ein Gerichtsdiener oder Liktor aktiv.[31]

 Der Vater in einer großen Familie züchtigt bisweilen seinen Sohn selbst, es kommt aber auch vor, dass er diese Aufgabe einem Diener oder Erzieher überträgt.

 Warum sollte Gott nicht dasselbe Recht zustehen?

 Warum sollte er uns nicht, so es ihm gut dünkt, mit eigener Hand schlagen, wenn es ihm anders besser erscheint aber mit fremder? Denn darin besteht weder ein Unrecht noch wird uns ein Schaden zugefügt.

 Du denkst, besagter Diener ist zornig über dich? Er trägt sich mit Gedanken, dir zu schaden? Das tut nichts zur Sache! Lass ihn außer Acht und richte dein Augenmerk auf den Auftraggeber! Denn der Vater steht mit Sicherheit als Kontrollinstanz im Hintergrund und wird nicht zulassen, dass dir auch nur ein Schlag mehr zugefügt wird als vorgeschrieben.

Gift der Affekte Aber warum ist hier nun Sünde beigemischt und haftet das Gift der Affekte den göttlichen Pfeilen an? Zu einer rauen und steilen Höhe rufst du mich da. Dennoch werde ich versuchen hinauf zu gelangen.

Gottes Macht Damit Gott seine Weisheit und Macht offenbart – so Augustinus – ,hat er es für richtig erachtet, eher aus Bösem Gutes werden zu lassen, als überhaupt nicht Böses zu zulassen.’[32]

 Denn was ist weiser oder besser als der, der aus Bösem Gutes hervorbringen und das, was schon zum Verderben bestimmt war, zum Heil wenden kann. Du lobst doch auch einen Arzt, der seinem Gegengift wegen der so heilsamen Wirkung etwas Schlangengift beimischt. Warum aber willst du dann Gott tadeln, wenn er dieser Medizin der Drangsal einige menschliche Vergehen beifügt – und das, ohne dass du dabei Schaden nimmst? Denn er verkocht und verzehrt das ganze Gift mit dem geheimen Feuer seiner Vorsehung.

 Schließlich trägt dies zu Gottes Macht und Ehre bei; denn dorthin führt er alles mit Notwendigkeit. Was drückt wohl deutlicher seine Stärke aus als die Tatsache, dass er die Feinde, die sich ihm widersetzen, nicht nur besiegt, sondern derart niederzwingt, dass er sie zu sich und in sein Lager überführt. Dort kämpfen sie für ihn und führen ihre Waffen für seinen Sieg. Das geschieht täglich, wenn in den Bösen Gottes Wille wirkt – sei es auch, dass es nicht die Absicht der Übeltäter ist – wenn er das, was sie gegen seinen Willen tun, so beugt, dass sie nichts verrichten außer seinen Willen.

C 2.7.74 Was kann es für ein größeres und deutlicheres Wunder geben, ‚als dass die Bösen Böse zu Guten machen’?[33]

Antike Beispiele Schau, Caesar, nur ein Weilchen bist du da – und schon trittst du wieder ab und zugleich zwei heilige Größen mit Füßen: dein Vaterland und deinen Schwiegersohn. Dein Ehrgeiz wird, ohne dass du es weißt, Gott dienen und sogar deinem Vaterland, gegen das er gerichtet war. Denn es wird nach dir eine Erneuerung und ein Erstarken des römischen Staates geben.

 Komm, Attila, flieg herbei vom Ende der Welt, lechzend nach Blut und Beute. Raube, töte, brenne und verwüste. Deine Grausamkeit streitet für Gott: Du wirst nichts anderes als ein Aufrütteln für die Christenheit sein, die in lasterhafter Genusssucht versunken und begraben liegt.

 Was ist mit euch, ihr beiden Flavier.[34] Bringt mir nur Verderben über Judäa und die Juden. Nimm die heilige Stadt Jerusalem ein und vernichte sie. Aber zu welchem Zweck? Ihr denkt zwar, es sei zum Ruhm und zur Ausdehnung eures Reiches. Aber ihr irrt! In Wahrheit seid ihr bloß die Vollstrecker und Diener der göttlichen Rache an einem gottlosen Volk. Geht nur hin, ihr tötet vielleicht in Rom Christen, aber rächt den Tod Christi in Judäa.

Belgien Und nun zu dir, Don Juan d’Austria,[35] was willst du eigentlich mit diesem Krieg und der grausamen Waffengewalt erreichen?

 Du glaubst, die Macht deines Königs und Volkes zu stärken. – Auch du irrst! Du bist nichts anderes als die Peitsche und Geißel[36] für die zügellosen Belgier. Denn wir haben unser Glück nicht ohne die Hilfe dieses neronischen Schwitzbades verdauen können.

Rückkehr zum Und so begegnen uns zu jeder Zeit Beispiele, dass Gott durch die

Heilsplan ruchlosen Begierden anderer seinen guten Willen vollführt, durch die Ungerechtigkeit anderer seine gerechten Urteile fällt. Aus diesem Grunde, Lipsius, sollen wir uns über die geheime Kraft seiner Weisheit wundern, wir sollen sie aber nicht erforschen. Wir müssen wissen, dass alle Unglücke in ihrem Ausgang gut sind, auch wenn unser blinder Verstand diesen nicht sieht oder, weil er zu träge ist, dahin nicht gelangen kann. Denn der eigentliche Sinn des Unheils bleibt uns oft verborgen und dennoch erfüllt sich dieser auch ohne unser Wissen. Genau so wie gewisse Flüsse, die plötzlich unseren Augen entrissen und unter der Erde verborgen werden, nichtsdestotrotz ihren Weg zum Meer finden.

 

 

 


C 2.8.74  Kapitel 8

 

Die Zwecke der Übel werden als dreigestaltig näher differenziert.

Dann Überlegungen über die, denen sie begegnen.

Kurz darauf etwas ausführlicher über die Übung (Exercitium), 

die den Guten vielfach nützlich ist: sie werden gestärkt, 

sie können sich beweisen und als Beispiel dienen.[37]

 

 W   

                               enn du mir nun erlaubst, die Segel zu hissen und unser

                               Schiff weiter auf das Meer der göttlichen Dinge zu segeln,

C 2.8.75 könnte ich dir vielleicht etwas ausführlicher und genauer den Sinn und Zweck der Unglücke darlegen.

 Homer hat mit Recht verkündet: ‚Wenn ich es nur vollenden kann und die Sache selbst es zulässt.’ Es gibt nämlich von den zu behandelnden Phänomenen solche, die ich wohl sicher erfassen und bezeichnen kann, und solche, die wage und unsicher sind.

Drei Zwecke der Sicher ist, dass Gott Unglücke der Übung, Züchtigung und

Unglücke Bestrafung wegen über uns kommen lässt.

 Denn die meisten Katastrophen, wenn du genau hinschaust, üben entweder die Guten oder züchtigen die Gestrauchelten oder sie strafen die Bösen – und das alles zu unserem Nutzen.

 Ich möchte den ersten Sinn und Zweck ein wenig erhellen und darauf meinen Fuß setzen.

Übung Fast täglich sehen wir, wie die Besten – entweder allein oder im

(Exercitium) Zusammenhang mit Übeltätern – von allerlei Unbill geplagt werden. Wir sehen es und verwundern uns darüber. Denn wir begreifen einmal die Ursache nicht, zum anderen erfassen wir nicht den Sinn.

 Die Ursache nämlich ist Gottes Liebe zu uns, nicht sein Hass. Der Sinn ist nicht unser Schaden, sondern unser Nutzen.

 Denn die Übung dient uns in vielfältiger Weise: Sie stärkt, stellt ein Zeugnis aus und gibt anderen ein Beispiel.

Stärkung Sie stärkt, da sie wie eine Schule ist, in der Gott die Seinen zu Kraft und Charakterstärke erzieht. Wir erleben, wie Athleten durch harte Trainingseinheiten ausgebildet werden – damit sie siegen! So stell dir auch uns in der Palästra[38] der Unglücke und Niederlagen vor. Unser Lehrer und Übungsleiter ist ein harter Schleifer: Unser Mühen und Leiden lässt uns nicht nur schwitzen, sondern manches Mal müssen wir auch bluten. Glaubst du etwa, dass er seine Schützlinge verweichlicht, sie mit Nettigkeiten und Luxus umschmeichelt? Das ist nicht sein Ding!

 Mütter machen solches, wenn sie – scheinbar sanft und zärtlich – ihre Kinder verderben und entkräften, die Väter dagegen, die nach außen hin Hartes und Trauriges fordern, helfen ihren Sprößlingen. Gott aber ist unser Vater, und deshalb liebt er uns wahrhaft, auch wenn er streng ist. Willst du ein Seemann werden, dann sind es die Stürme, die dich ausbilden. Willst du Soldat werden, sind es die gefährlichen Situationen. Willst du aber ein Mann und ganzer Kerl werden, warum lehnst du dann Kampf und Herausforderungen ab? Es gibt nämlich keinen anderen Weg zur Härte.

 Kennst du die schlaffen und schattenhaften Körper, die die Sonne selten gesehen, die kein Wind umweht, kein kalter Luftzug gestreift hat? So sieht die seelische Verfassung dieser Weichlinge aus, die immer unbeschadet davongekommen sind, die aber der leiseste Hauch eines widrigen Schicksals völlig umhaut.

 Somit also dienen die Unglücke unserer geistigen und seelischen Stärkung: Wie die Bäume, die vom Wind geschüttelt werden, tiefer ihre Wurzeln treiben, so vermehren gute Leute ihre Charakterstärke, wenn sie des Öfteren die rauen Winde der Widrigkeiten durchstehen mussten.

Zeugnis Aber die Unglücke geben auch ein Zeugnis. – Denn wie anders könnte jemand eine klare Kenntnis seiner Stärke oder seines Fortschreitens erlangen? Stell dir vor, der Wind bläht dem Steu-

C 2.8.76 ermann stets von achtern die Segel: Nie wird er seine Kunstfertigkeit deutlich machen können. Der Mensch, dem nur Glück und Gefälliges widerfährt, wird ebenso niemals seine Charakterstärke offenbaren können. Denn deren einzige und untrügliche Feuerprobe ist die Widrigkeit. Herrlich hat dies Demetrius zum Ausdruck gebracht. ‚Nichts scheint mir unglücklicher als der, 

dem niemals Unglück widerfuhr.’

Denn Gott verschont sie nicht, die Glückspilze, sondern er misstraut ihnen. Er begünstigt sie nicht, sondern er setzt sie herab und verachtet sie. Er streicht sie aus dem Register seiner Legionen – wie Unfähige und kriegsuntaugliche Feiglinge.

Beispiel Schließlich dient die Übung in widrigen Situationen anderen als Beispiel. Denn die Kraft und Duldsamkeit guter Leute, die eine Niederlage verkraften, sind für diese umnachtete Welt wie ein Licht. Denn durch ihr Beispiel ermuntern sie andere zu ebensolcher Tat und bezeichnen den Pfad, auf dem die Nachfolger wandeln sollen.

 Bias verlor Hab und Gut und die Heimat, aber noch heute ruft er allen Menschen zu, ‚alles Wesentliche bei sich zu führen.’[39]

 Regulus starb unter grässlichen Qualen der Folter, aber das großartige Beispiel seiner Treue lebt weiter.[40]

 Papian wurde vom Tyrannen gemordet, aber jenes Richtbeil prägt in uns die Gewissheit, um der Gerechtigkeit willen den Tod auf uns nehmen zu müssen.[41]

 Schließlich sind so viele treffliche Bürger aufgrund von Gewalt und Unrecht bedrängt oder gar getötet worden. Aber aus ihren Bächen voll Blut trinken wir noch heute die Kraft der Geistes- und Charakterstärke.

 Doch all dies läge im Dunkeln ohne die Fackel des Unglücks. Denn mit der Tugend ist es wie mit Kräutern: Wenn du diese reibst, verbreiten sie lange und ausgiebig ihren Duft; wenn du jene drückst, ergießt sich ihr Ruhm in alle Weiten.

 


C 2.9.76  Kapitel 9

 

Über die Züchtigung (Castigatio), den 2. Zweck.

Ihr Nutzen in zweifacher Hinsicht.

 

 N   

                               un ist das zweite Ziel der Übel die Züchtigung. Man findet

                               nichts Sanfteres oder Besseres, das unserem Heile nützt.

Zwei Weisen der Denn sie hilft und erhält auf zweifache Weise: entweder als Peit-

Züchtigung sche, wenn wir gefehlt haben, oder als Zügel, damit wir nicht fehl

Peitsche gehen. Denn sie ist die väterliche Hand, die uns Sünder schnell und oft schlägt; dagegen steht die Hand des Scharfrichters, die bedächtig, aber nur einmal eine endgültige Bestrafung ausführt. Wie Feuer oder Wasser zur Reinigung von Schmutz Anwendung finden, so gibt es auch Unglücke zur Sühnung unserer Sünden. Und diese Peitsche, Lipsius, fährt mit vollem Recht auf uns hernieder. Denn seit langer Zeit schon sind wir in Belgien verdorben von Luxus und Reichtum und haben diesen verderblichen Weg der Laster beharrlich weiterverfolgt.

C 2.9.77 Aber Gott ermahnt und ruft uns in Milde zurück; einige Schläge zwar teilt er aus, damit wir, so gemahnt, zu uns selbst zurück finden, besser noch zu ihm gelangen.

Äußere Güter Er entreißt uns unsere Güter – weil wir sie zur Verschwendung gebraucht haben. Er nimmt uns die Freiheit – weil wie sie zur Zügellosigkeit missbraucht haben.

 Aber mit der sanften Gerte der Unbill entschuldet und reinigt er unsere Vergehen. Fürwahr mit einer sanften: Denn wie gering ist doch unsere Gegenleistung?!

 Es heißt, die Perser hätten einem hochgestellten Mann, wenn sie ihn bestrafen wollten, das Kleid und den Turban abgezogen und diese dann geschlagen, als wären sie der Mensch selbst. So verfährt auch unser Vater, der bei aller Züchtigung nicht eigentlich uns berührt, sondern unseren Körper, unser Land und Gut – eben alles Äußere.

Zügel Die Züchtigung ist aber auch ein Zügel, den er uns rechtzeitig anlegt, wenn er sieht, dass wir sündigen könnten. Zuweilen machen’s doch die Ärzte so, dass sie vorsichtshalber jemanden zur Ader lassen; nicht weil man krank ist, sondern damit man eben nicht erkrankt. So nimmt uns Gott durch die Unglücke etwas fort, das ansonsten zum Zündstoff von Lastern werden könnte. Denn er, der uns geschaffen hat, kennt unser aller Natur, und er beurteilt uns nicht nach Adern oder Hautfarbe, sondern nach dem Herzen und dem inneren Feuer.

Exempla Sieht er etwa, dass die Veranlagung des Menschen in der Toscana allzu lebhaft und ungestüm ist, so zwingt er sie unter die Herrschaft eines Fürsten.[42] Sieht er, dass die Schweizer ruhiger und sanfter sind, so duldet er ihre Freiheit.

 Sind die Venetier von mittlerem Temperament, gibt er ihnen ein mittleres Regiment. Mit der Zeit wird dieses unter Umständen auch wieder verändert, sollten die Völker selbst sich ändern.

Klagen Und dennoch beklagen wir uns.

 Warum, so geht die Frage, werden wir länger mit Krieg geschlagen als andere? Oder – mit härterer Knechtschaft?

 Kranker Narr, glaubst wohl, klüger zu sein als Gott?

Heilung Sag an! Warum mischt ein Medicus diesem mehr Wermut oder Nieswurz[43] bei als jenem? Natürlich, weil seine Krankheit oder Natur dies so fordert.

 So denke auch hier: Gott sieht, dass dieses Volk vielleicht wilder und ungezügelter ist, weshalb es mit Schlägen gebändigt werden muss. Ein anderes aber ist sanfter und kann schon mit dem Schatten der Rute in seine Bahn zurückgeführt werden.

 Doch du siehst das nicht so. Und dennoch trifft es hundertprozentig zu. Nicht mal die Eltern lassen ihrem Jungen Messer oder Eisen in der Hand, wenn er auch noch so sehr quengelt. Denn sie sehen die mögliche Verletzung schon voraus. Warum sollte uns Gott also dem Verderben überlassen, die wir doch wahrhaft seine Kinder sind? Wir wissen doch nicht, was heilsam zu erbitten oder besser wegzuwerfen ist, weil es zum Schaden dient.

 Doch, wenn du willst, heul nur soviel du lustig bist. Du wirst nichtsdestotrotz jenen Pokal der Trauer trinken, den dir der himmlische Medicus mit Bedacht so voll einschenkt.

 


[1] Die Randnotiz (C2.1.61; n.2) verweist auf einen Vers des Ennius.

[2] Alkinoos, König der Phaiäken, nimmt den schiffbrüchigen Odysseus freundlich bei sich auf. Odys. 6-8;13. Beschreibung seines Gartens Odys. VII 112-132. Adonis wiederum wurde von einem Teil der Anhänger seines Kultes mit den „Gärten des Adonis“ geehrt; schnell hervor schießenden Grünpflanzen, die allerdings ebenso schnell verdorrten.

[3] Argos Panoptes, Apollodor 2.2.2f

[4] Das Elysium: Homer, Odys. 4.561-569; Hesiod, Erga 167-173 u.a.

[5] Zu Alkinoos und Adonis s.o. C 2.1. S. ??

In Odys. 11.582-592 werden die Qualen des Tantalos geschildert, der u.a. von wunderbaren Früchten und Pflanzen umgeben ist, die allesamt für ihn unerreichbar sind.

Hesperiden, s. Apollodor 2.5.11; Hygin Fabulae 30 und Poetica Astrononmica 2.3.

[6] Lipsius differenziert hier zwischen Mythen und Historie.

[7] Dies ist eine vereinfachende und verallgemeindernde Darstellung, die Philosophen und Gartenbauer bei den alten Griechen gleichsetzt und damit einer wesentlichen Haltung griechischer Philosophie nicht gerecht wird: sich einzumischen. Sokrates verwirkte sein Leben, weil er mit seinen bohrenden Fragen auf der Agora, also in der Öffentlichkeit und bei den Menschen, präsent war.

[8] Wahrscheinlich handelt es sich hier um L. Tarquinius Priscus aus der Reihe der sagenumwobenen römischen Könige. Lipsius setzt das Adjektiv „priscus“ – dt.: ehrwürdig, früher – hier allerdings zur Stadt Rom: „prisca illa Roma“.

[9] L. Licinius Lucullus, ein erfolgreicher Feldherr und Freund Sullas.

[10] Sulona, jetzt Solin, Hauptstadt der römischen Provinz Dalmatia.

[11] Viritius (77v.) übersetzt hier „Türkey“. Hintergrund ist das Osmanische Reich, das sich Ende des 16. Jahrhunderts über den Balkan bis nach Ungarn erstreckt.

[12] Die Randnotiz (C 2.3.65, n.1) präzisiert, es handele sich um „Hortensius, der wegen einer Muräne Trauerkleider angelegt habe.“ Gemeint: Q. Hortensius Hortulus, ein berühmter Redner und Zeitgenosse Ciceros (Verteidiger des Verres) sowie Besitzer großer Fischteiche.

[13] Homer

[14] Siehe hierzu Anmerkung 2.

[15] Zur Problematik von Aktivität und Muße s. Weisheit S. 188ff.

[16] Gemeint ist P. Cornelius Scipio der Ältere in Cic. De off. 3.1; der Zusammenklang von Aktivität und Muße, sprich Kontemplation, findet sich noch deutlicher bei Sen. De otio 5.8 und 7.2.

[17] Lipsius spricht von einem „gymnasium“ und einer „palestra sapientiae“. Sies Schulen für Leibesübungen, vor allem das „gymnasium“ sind bei den Griechen auch Treffpunkte von Philosophen. Als Nachahmung dieser Vorbilder hatte Cicero bei Tusculum – bezeichnenderweise – zwei Gartenanlagen geschaffen; Cic. de div. 1.8., dort die Bezeichnungen „lyceum“ und „gymnasium“, in Tusc. 2.9 „academia“.

[18] Lipsius setzt vorher für Franzosen „Celtae“ und für Spanier „Celtiberi“, so dass mit dem „Asiae tyrannus“ wohl als weitere Anspielung auf aktuelle politische Bedrohungen die Osmanen gemeint sind.

[19] Einen Überblick über die Problematik: Weisheit – Philosphie – Geistesstärke in Lipsius’ constantia bietet Weisheit, S. 176ff.

[20] Viritius (81) übersetzt: „… zu dem studieren und den sieben freyen Künsten Lust …“ Sollte Lipsius den Wissenschaften oder Künsten eine Zahl direkt zuordnen, rekurriert er allerdings auf die frühere Zahl 9 der Spätantike („Literae … novem istae deae“), die etwa nach 400 n.Chr. auf 7 artes liberales reduziert wurde (Grammatik, Rhetorik, Dialektik – trivium – und Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie – quadrivium).

Z.B. Dichtkunst (die Lipsius eigens unten C 2.4.68 nennt) und Geschichte sind jetzt als Einzelaspekte ausgespart. Es liegt jedoch näher zu lesen „novem deae“ = die (9) Musen der Gelehrsamkeit (Calliope, Clio, Melpomene, Thalia, Euterpe, Erato, Urania, Poyhymnia und Tersichre). Zur göttlichen Abstammung der Musen als Töchter Zeus’ s. Cic. de nat. deor. 3.54.

[21] Aug. de ord. 1.4

[22] Hier tut sich in Lipsius’ Text ein Problem auf: Es drängt sich aus dem Kontext geradezu auf, „mella“ mit „Honig“ wiederzugeben. Doch die Wendung „cur ad illa … mella non adiungis hanc firmiorem Philosophiae dapem?“ erzwingt einen Akk. Neutrum Pl. nach „ad“. Doch das Neutrum „mellum“ (=stacheliges Hundhalsband) scheidet aus nahe liegenden Gründen aus. (mella = Honig ist dagegen feminin.)

[23] Zur Forderung nach Aktivität s. Weisheit S. 188ff.

[24] Diese Sage geht zurück auf Kaineus, der als Mädchen mit Namen Kainis geboren wurde. Von Poseidon verführt oder vergewaltigt, hatte sie nur noch das Verlangen, ein Mann zu werden, um Ähnliches in Zukunft nicht mehr erleiden zu müssen. Der Meeresgott erfüllte ihr diesen Wunsch. Später soll Kaineus in einen Vogel verwandelt worden sein. (Ovid, Metam. 12.169-209; 12.459-535)

Nach Vergil, Aen. 6.448, kehrt Kaineus später wieder in die Mädchengestalt zurück.

[25] Zur Thematik der Nützlichkeit im Rahmen der Theodizee s. Weisheit S. 143ff.

[26] Lipsius verweist auf die Ableitung Iuppiter (Iovis) von Helfen (a iuvando). S. Weisheit S. 145 u.

Anm. 8.

[27] Zu Geist (mens) als Weltgeist (mens mundi) vgl. Weisheit S. 83 und Anmerkung 5; Cic. de nat. deor. 2.58

[28] S. Weisheit S. 146 und Anm. 11; Cic. Tusc. 1.79

[29] Die Randnotiz (n.2) ergänzt: „Sicherlich bei den Guten“, Viritius (88 n. 2) fügt hinzu: „auch bisweilen den besen.“

[30] Bei Lipsius „princeps“, für Viritius ist dieser (Vir. 89) der „Fürst“.

[31] Im Original steht: „per Brutianum aut lictorem“. Gemeint sind die Bruttii oder Bruttiani, die im 2. Punischen Krieg, zu Staatsklaven gemacht, den Dienst von Liktoren versahen. Dazu gehörten auch die Exekutionsaufgaben des Henkers. Vgl. Cato bei Gellius 10.3.17.

[32] Aug. Ench. 1.27.

[33] Boethius, Cons. 4.p6.187-189 und 4.p6.193-195.

[34] Im Lateinischen „duo Vespasiani“. Gemeint die beiden flavischen Kaiser T. Flavius Vespasianus und dessen Sohn Titus, die die jüdischen Aufstände blutig niederrangen und Jerusalem zerstörten (s. Flavius Josephus, Geschichte des jüdischen Krieges).

[35] Lipsius apostrophiert ihn als Statthalter des Reiches im Westen/Spanien („ab Hespero“) bwz. der Morgenröte („ab Aurora“). Beim Namen aber nannte ihn schon Viritius (Vir. 92v).

[36] Lipsius verwendet hier mit „mastix“ ein ins Lateinische transkribiertes Wort aus dem Griechischen für „Geißel“, Peitsche. Das lateinische „mastix“ bedeutet dagegen ein wohlriechendes Harz des Mastixbaumes.

[37] Zu den folgenden Kapiteln über „Übung“, „Züchtigung“ und „Strafe“ siehe Weisheit S. 151-158.

[38] Ringschule, -platz.

[39] Das berühmt „omnia mea mecum porto“ dem Bias als einem der 7 Weisen zugeschrieben bei Cic. par. Stoic. 1.8. oder dem Stilbo („omnia mea mecum sunt) bei Sen. de const. 5.6.

[40] Regulus freiwilliger Martertod in Karthago bei Sen. de prov. 3.4 und 3.9.

[41] Lipsius wählt hier ein Wortspiel: „securis illa“ (jenes Richtbeil) „securitatem nobis imprimit“ (prägt in uns die Sicherheit/Gewissheit).

[42] Hintergrund ist hier Il Principe (Der Fürst) des Florentiners Macchiavelli. Bei Lipsius heißt es „Etrusca ingenia“; Vir. 97v. überträgt mit Sinn: „der Florentiner ingenia“.

[43] (h)elleborus; Brechmittel und (damals) Heilmittel bei Epilepsie sowie Geisteskrankheiten.

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